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Der Begriff "Religion"

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Meine Definition

Um zu verstehen, was Religion ist, muss man sich vergegenwärtigen,  aus welcher uralten Quelle sich das Entstehen von R. speist. Betrachten wir, in welcher existenziellen Situation sich unsere frühen Vorfahren befanden. Sie waren tatsächlich in die Welt geworfen,  numinosen Naturmächten ausgeliefert, deren inneres Funktionieren wirklich zu verstehen sie kaum eine Chance hatten. Geburt und Tod, Blitze und Donner, Krankheiten, das Wetter, das Verhalten der Jagdbeute, usw., - all das schien nach geheimnisvollen Regeln zu funktionieren, deren Verständnis einerseits elementar wichtig, andererseits aber extrem schwierig war. Das war kein "allgemeinphilosophisches Interesse", vielmehr war es überlebenswichtig, zu verstehen, wie die Dinge funktionierten.  Die Menschen waren gezwungen, sich einen Reim auf all die Ereignisse zu machen, die auf sie einstürzten. Die Tragik unserer frühen Vorfahren beim Versuch, so etwas wie eine Theorie der kosmischen Ordnung zu (er)finden, war nun, dass sie hierbei weitgehend überfordert waren, weil ihnen hierfür zu wenig wirkliches Wissen zur Verfügung stand. (Anmerkung 1)

Aus dieser Lage heraus dürften sich bereits die zwei auseinander laufenden Stränge menschlichen Strebens nach Kompetenzzuwachs gegenüber der Natur entwickelt haben: Einerseits Wissenschaft und Technik, andererseits die Religion. Es ist gut vorstellbar, dass bereits in sehr früher Zeit Menschen mit zwei unterschiedlichen "Temperamenten" existierten: die einen, die eher misstrauisch-vorsichtig auf Sicherheit und kleine Erkenntnisschritte mit Praxisüberprüfung bauten (die "Wissenschaftler"), und die anderen, die ihr "Heil" in relativ leichtsinnigen, oft irrationalen Spekulationen, in "großen" Ideen und fantasievollen Modellen der Wirklichkeit suchten (die "Religiösen"). Typisch für Religion ist, dass trotz (oder geade wegen) des spekulativen Charakters ihrer Aussagen, sehr viel Energie für das Vermitteln einer Aura des Faktischen verwandt wird. (Anmerkung 2)

Die religiösen Welterklärer dürften in früher Zeit die besseren Karten gehabt haben: Einerseits waren die Möglichkeiten (nach heutigen Maßstäben) zu wissen sehr dürftig. Andererseits hatten sie mit Sicherheit die bunteren und eindrucksvolleren Geschichten zu erzählen...  Resultat war ein weit verbreitetes irrationales Glauben an die angebliche Existenz "transzendenter" Wesenheiten, von denen all die unverstandenen Wirkungen vermeintlich ausgingen. Denn die menschliche Fantasie tendiert dazu, sich Unbekanntes dadurch näher zu bringen, dass sie es personalisiert. Rationalität in unserem Sinn dürfte damals selten gewesen sein. (Anmerkung 3)

Es ist gut vorstellbar, dass sich in der Frühzeit das eine oder andere Clanmitglied besonders gut aufs Darstellen / Beschwören von Geistern usw.  verstand. Irgendwann, bei Erreichen eines Gesellschaftszustands höherer Komplexität, der Arbeitsteilung mit sich brachte, wird sich so etwas wie ein Übergang vom Amateur- zum Profistatus ergeben haben. Auf der Bildfläche erschien als personale Institutionalisierung: Der Priester.  Er wird möglich, als sich eine gewisse Menge "etabliertes Knowhow" im Umgang mit dem Numinosen - nennen wir es das Dogma - angesammelt hat (einschließlich einer Art Technologie, um die angeblich existenten Wesenheiten wunschgemäß zu manipulieren). Das professionelle Priestertum markiert den Anfang der organisierten Religion im engeren Sinne. Andererseits bedeutet das Indieweltkommen des Priestertums aber auch einen zusätzlichen Antrieb für die Erweiterung und Verfeinerung der Hardware (Tempel, Statuen...), der Software (Dogma, Riten...) und des Personals. (Anmerkung 4)

Der o. g. Gesellschaftszustand höherer Komplexität bringt noch etwas anderes mit sich: Elaborierte Herrschaftsstrukturen. Die Rolle der Herrscher ist für das weitere Großwerden der Religion wichtig, denn Religion erweist sich als ideales Instrument der Herrschaft. So wie Bewaffnete das äußere Verhalten der Bevölkerung kontrollieren können, so können Priester ihr inneres Wollen beeinflussen. Religion erzeugt Gruppenidentität, die Identität der Gruppe, die den Herrscherwillen betreibt. Andererseits können die Herrscher eine bestimmte Religion (einschließlich deren Priester) in ihrem Herrschaftsbereich etablieren. Priester und Herrscher sind so natürliche Verbündete, da sie wechselseitig voneinander profitieren. Eine Religion aber, die durch wechselseitige Abhängigkeit mit den Herrschern endgültig etabliert und institutionalisiert ist, ist nun eine "große Sache" geworden, ein Politikum. (Anmerkung 5)

Aus dem oben Beschriebenen sind alle sekundären Merkmale der Religion ableitbar. Z. B.
  • das Glauben, (begrifflich institutionalisiert als "der Glaube"), als Loyalität gegenüber dem Herrscher- und Priesterkonglomerat, in dem sich angeblich der Wille höherer Wesenheiten äußert,
  • die Tendenz zur Verabsolutierung von etwas Höchstem ausgehend von der inbrünstigen Verehrung der Herrscher, dann der Götter und Priester,
  • die Trostfunktion als ideologisches Angebot, die Welt so zu sehen, dass die eigene Lage weniger schlimm erscheint, z. B. indem der "winzigen" menschlichen Existenz eine vergrößernde Bedeutung in einem übergeordneten Weltzusammenhang zugewiesen wird,
  • das Beten, ein Spiegelbild des Anbettelns von Herrschern, dann angebliche Möglichkeit zur Kommunikation mit den "höheren Wesen", etwa um sich deren Schutz zu besorgen,
  • Rituale, als Methode, das Handeln vieler Menschen zu "takten", gleichzuschalten,
  • Wunder, zum angeblichen Beweis der Tüchtigkeit der Techniken im Umgang mit dem "Höheren",
  • die Integration von peripheren Elementen aus dem sozialen Umfeld, im weitesten Sinne das Aufsaugen von allerlei "brauchbaren" kulturellen Elementen, die dann als typisch religiös erscheinen, z. B.:
    -- Übernahme und Funktionalisierung psychopathologischer Elemente wie psychotisches Stimmenhören als Vernehmen der Götterstimmen,
    -- Übernahme und Funktionalisierung von Elementen der Kunst (als Vegrößerungs- und Verstärkungstechnik zur Konzentration auf die Verehrungsobjekte)
    -- ...


Anmerkung 1: Inwieweit erkenntnismäßige Überforderung (zu viel leisten zu müssen angesichts zu geringer Erkenntnismittel) Merkmal und prinzipielle Achillesferse religiöser Weltmodelle ist, wäre ein ergiebiges Thema! Der Urmensch, der (vielleicht hungrig und vom täglichen Kampf traumatisiert) am Feuer sitzt und grübelnd in die Flammen starrt: Was sieht der wohl? Seine Antworten: Halluzinationen, Vermutungen, Hoffnungen, Ängste usw. verdienen Mitgefühl und Verständnis. Ihm ist nichts vorzuwerfen. Sie waren Resultat SEINER Zwänge und Möglichkeiten.
Eine "anständige" Theorie der kosmischen Ordnung muss natürlich auch eine Erklärung für das Entstehen der Welt liefern. Daher sind Schöpfungsmythen ein wesentlicher Bestandteil fast aller Religionen. Wie wichtig so etwas ist, zeigt sich auch in den neueren Versuchen der christlichen Kreationisten, die Evolutionstheorie anzugreifen. Eine Religion mit amputiertem Schöpfungsmythos ist eben nur noch die Hälfte wert. Fürs Christentum muss das besonders gelten, weil hier die Gott-Vater-Projektion eine große Rolle spielt. Ein echter Vater aber ist nur einer, der den Menschen auch GEMACHT hat.
"...wenn wir eine Ursache wirken sehen, halten wir die Wirkung für natürlich. Wenn wir aber eine ungewöhnliche Wirkung wahrnehmen, ohne ihre Ursache zu entdecken, dann beginnt unser Verstand zu arbeiten und wir sind beunruhigt. Wird die Ursache für eine Wirkung trotz grösstem Eifer nicht gefunden, nehmen wir zur Einbildungskraft Zuflucht, die durch die Furcht verwirrt, eine trügerische Führerin wird und uns Hirngespinste und fiktive Ursachen erschafft, denen sie die Erscheinungen zuschreibt, die uns in Unruhe versetzen. Dieser Veranlagung des menschlichen Geistes verdanken wir alle religiösen Verirrungen der Menschen, die so zu Opfern der Torheit werden. [Dieser unwiderstehliche Drang nach Kausalität, nach Erklärung ist nebst der Angst die Hauptquelle des Aberglaubens]."
Dies ist zitiert von
Die Naturphilosophie von D'Holbach Paul Dietrich "Thiry" (Baron) D'Holbach (1723-1789): System der Natur oder von den Gesetzen der Physik und der moralischen Welt" (ersch. 1770). Dieses Buch gilt als 'Bibel' des Materialismus und des Atheismus, weshalb es bis ins 20 Jh. unterdrückt wurde und wenig bekannt ist.



Anmerkung 2: Man kann hier den Anfang des Bruderzwists zwischen den beiden konkurrierenden Paradigmen Religion und Wissenschaft sehen. Religion ist im Wesen: Hexerei! Religiöse "Kompetenzerweiterung" benötigt für ihren Erfolg hauptsächlich Fantasie und "Ausdruckskraft", während Wissenschaft auf mühevoller, Jahrtausende währender akkumulativer Kleinarbeit beruht. Die großen Erfolge der Wissenschaft konnten erst in den letzten paar Jahrhunderten eingebracht werden. Während die Fantasiemethode sicherlich schon in frühester Zeit zur Blüte gelangte (und dabei sozusagen früh ihr Pulver verschoss), konnte die "langsam aber immer gewaltiger kommende" Wissenschaft auf dem Errungenen mehr und mehr aufbauen, wodurch sie eine immer größer werdende Beschleunigung und Verstärkung erfuhr. Interessant ist dabei, wie sich die nach und nach errungenen Erkenntnisbausteine der Wissenschaft immer wieder gleichsam in "Geschosse" verwandeln, die die religiösen Theorien der kosmischen Ordnung mehr und mehr "in Schutt und Asche" legen. Schon aus dieser Überlegung heraus ist für mich klar, welchem der beiden Paradigmen die Zukunft gehören wird.
P. S.: Wenn Religion im Wesen Hexerei ist, wird auch erklärbar, warum der Vatikan so wütend auf die Harry-Potter-Welle reagiert hat: Er sieht HP als Konkurrenz an!



Anmerkung 3: Man darf in dem Zusammenhang auch nach der Rolle von Täuschung und Betrug fragen. Die Tendenz, den einen oder anderen Vorteil in der Gruppe durch Wahrnehmungstäuschungen oder passend "geformte" Wiedergabe von Wahrgenommenem (Glaubenmachen) zu ergattern, gab es sicher schon immer. Sogar von Affen ist bekannt, dass sie ihre Artgenossen hinters Licht führen können. Die Entwicklung der Sprache hat diese Möglichkeiten bei den Menschen vervielfacht. Die Anwendung von Glauben stiftenden Taschenspielertricks in religiösen Zusammenhängen ist nichts Neues. Beispiele: Diverse "Wunder" im Katholizismus oder die Kunststücke umherziehender Heiliger in Indien, usw... (Welche Rolle spielten wohl "absichtlose Täuschungen": psychologische Wahrnehmungstäuschungen, Halluzinationen, allgemein: psychische Faktoren mit Krankheitswert?) Bemerkenswert bleibt jedenfalls der Kontrast zwischen der spekulativen Basis einerseits und der oben genannten Aura des Faktischen andererseits. Die Annahme ist naheliegend, dass diese beiden Elemente in einem inneren Zusammenhang stehen...



Anmerkung 4: Die Institutionalisierung bringt eine Änderung der Motivation des religiösen Menschen mit sich. Wenn sich zuvor die Frage nach einer "Theorie des kosmischen Zusammenhangs" aus realen Problemen heraus stellte, so ist die Lage jetzt anders. Die dogmatische Antwort stellt sich nun von vornherein ins Zentrum der Aufmerksamkeit, sie ist von vornherein da, als Teil des Lebens. Ein Tempel, der da steht oder ein altehrwürdiges, bedeutungsschwangeres Opferritual bildet nun die Antwort vor der Frage, welche für manch ein "Religionsopfer" eher ein zusätzliches Problem als eine erwünschte Lösung für primär existenzielle Fragen darstellt.



Anmerkung 5: Selbstverständlich wird auch der dogmatische Inhalt der Religion von dieser Aufgabe beeinflusst, gewissermaßen kontaminiert: Dies betrifft v. a. die ethisch-moralischen Elemente der Religion, bei der Frage nach Gut und Böse hat nun Herrschaftsinteresse das Sagen. (In einem System, das z. B. von einer Oligarchie beherrscht wird, die von der Sklavenausbeutung lebt, MUSS die etablierte Religion dem Rechnung tragen: Sklave zu sein ohne zu rebellieren muss von der "Moralabteilung" der Religion als etwas Erstrebenswertes dargestellt werden. (s. etabliertes Christentum im Röm. Reich) Es betrifft aber auch bestimmte Projektionsbildungen, etwa wenn die Götter spezifische Eigenschaften der jeweiligen Herrscher annehmen. (Hypothetisches Beispiel: Man kann sich vorstellen, wie irgendwelche Religionsfunktionäre in politisch schwieriger Situation dadurch Punkte beim Despoten sammeln, dass sie das Bild ihres Obergottes nach seinem Bilde formen, aber vermutlich geschieht dies eher permanent und unbewusst.)


In dunklen Zeiten wurden die Völker am besten durch die Religion geleitet, wie in stockfinstrer Nacht ein Blinder unser bester Wegweiser ist; er kennt dann die Wege und Stege besser als ein Sehender. Es ist aber töricht, sobald es Tag ist, noch immer die alten Blinden als Wegweiser zu gebrauchen.
(Aus: Heinrich Heine, Aphorismen und Fragmente)

Religion = Hexerei?


Was ich oben geschrieben habe, könnte man zuspitzen in dem Satz:
Religion ist Hexerei!

-- Auch bei der Hexerei geht es um Machterweiterung im Kampf gegen die Naturgegebenheiten (Krankheiten, Wetter, Ernte, ...).
-- Auch die Hexen verfügen über ein Spezialwissen, das ihnen diese Macht gibt.
-- Auch ihre Macht kommt aus dem Irrationalen. Magie!
-- Hexen und Priester sind "Fachpersonal für den erfolgreichen Umgang mit dem Okkulten, Numinosen, Unerklärlichen..."
-- Die Hexe ist so eine Art Priester. (In unserem Bewusstsein sind Hexen aber moralisch eher zweifelhaft, während Priester als Hüter der Moral erscheinen. Das dürfte ein Resultat lang andauernder Propaganda sein.)
-- Auch die Priester der etablierten Religionen haben als "Technik" zum Umgang mit "höheren Mächten" Riten = rituelle Gegenstände und Handlungen (Zaubersprüche, Räucherwerk, Zauberspeisen und -Tränke, spezielles magisches Werkzeug, usw...)

Wikipedia: "Hexe"

Warum haben die Christen die Hexen (bzw. was sie dafür hielten) so erbarmungslos verfolgt?

Warum die Ausfälle der Katholikenkirche gegen "Harry Potter"?
Im April 2005 ging folgende Meldung durchs Land:
Papst Benedikt XVI. verteufelt "Harry Potter" als Gefahr für christliche Seele (SternShortnews)

... hat sich Papst Benedikt XVI. scharf gegen die Buchreihe "Harry Potter" der Autorin J.K. Rowling geäußert. Der Pontifex geißelte das Werk dabei als Gefahr für die "christliche Seele". Benedikt XVI. pries dagegen das Rowling-kritische Buch "Harry Potter - Good or Bad" der Autorin Gabriele Kuby. Es zeige die subtile Verführung insbesondere der Jugend auf, die von dem Phänomen Harry Potter ausgehe. ...
Ich meine: Papst Ratzinger hat ein feines Bewusstsein für Konkurrenz!

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Lesenswert: Zum Begriff "Religion" bei Wikipedia (verschiedene Ansätze)