Willensfreiheit, Determinismus
"I'm free to do what I want - any old time..."
(Rolling Stones)
Ja, aber: Wir verfügen über keinen "Metawillen", d.h.
wir können nicht wollen, was wir
wollen. Der eine oder andere möchte vielleicht
widersprechen: Er sei sehr wohl in der Lage, zu wollen, was er
will...
Selbst wenn das so wäre, es würde noch nicht genügen.Denn dann
würde sich das Problem nur weiter verschieben: Wir müßten in
der Lage sein, zu
wollen was wir wollen wollen. Und: zu
wollen, was wir wollen wollen wollen, usw. usw. D. h.:
was wir benötigen würden, wäre ein
unendlich
verschachtelter Metawillen. Dies wäre die notwendige
Voraussetzung für das, was sinnvollerweise
"freier Wille" genannt werden könnte. Wir Menschen sind aber
nicht in
der Lage, eine solche unendliche Aufgabe umzusetzen, schon deshalb, weil
unser Geist nur endliches Fassungsvermögen hat und weil wir nur eine
endliche Menge Zeit zur Verfügung haben. Dies
allein schon - unter Weglassen weiterer Überlegungen - ist ein
hinreichender (formaler) Beweis, dass wir wir nicht selbst die
letztendlichen Verursacher unseres Willens sein können.
Wenn das aber so ist, sind wir letztlich auch nicht die Verursacher unserer Handlungen.
Was wir wollen, hat
Ursachen. Diese Ursachen haben wiederum Ursachen, usw.
Bei dieser Ursachenforschung landen wir schon sehr bald bei Faktoren für unsere
Willensentscheidung, die
außerhalb unseres "Machtbereichs" liegen. Schon deshalb
haben wir mindestens nicht vollständig in der Hand, was wir wollen.
"Freier Wille" ist eine wichtige Voraussetzung für das religiöse Konzept
der
"Sünde". Haben wir den nicht (oder auch nur eingeschränkt!), dann
sind wir auch nicht verantwortlich für falsche=sündige Entscheidungen
bzw. die resultierenden Handlungen.
Das Problem wird dann noch größer, wenn man einen "Gott" postuliert, der
allmächtig und allwissend ist. Da wäre nämlich der Gedanke naheliegend,
dass
der "Gott" selbst für alles Geschehen, also auch
für menschliches Fehlverhalten, verantwortlich zu machen wäre!
Welche Strafe
hätte wohl ein Gott verdient, der - obwohl allmächtig! - derart
eklatant gegen seine eigenen Gebote handelt! (Denn er wäre es ja im Endeffekt,
der da handelt, wenn wir handeln.) Je größer die Macht, desto größer die
Verantwortung. So gesehen, gäbe es eine menschliche Sünde
überhaupt nicht, vielleicht aber eine göttliche, gegen den Menschen gerichtete!
Dieses Problem haben die Theologen auch erkannt, deshalb bestehen sie
verzweifelt darauf, dass Gott den Menschen den freien Willen gegeben habe...
Auch das wahrhaft abstoßende christliche Dogma von der "Erbsünde" - schon die neu
geborenen Kinder seien von Anfang an sündig - hat damit zu tun. Ohne diese "Sünde
vor dem Anfang" würde sich nämlich die Frage nach der Kausalität des ANFANGs des
Bösen stellen... (Wobei das Konzept der Erbsünde ja schon wieder
dem angeblich freien Willen widerspricht...)
Zumindest steht fest: Aus der Sicht eines (angenommenen) allmächtigen, allwissenden Gottes
kann es keine Sünde geben.
Der eigentliche Verusacher, also der Schuldige wäre immer der Gott
selbst. Das religiöse Konzept der Sünde ist reiner Unfug. (Es
wurde sicherlich aus "praktischen" Erwägungen erfunden...)
Der "freie Wille" ist aber auch Voraussetzung für die Legitimität jedes anderen,
mit Strafe und Verantwortung operierenden Systems im Umgang mit Menschen, etwa unseres
Rechtssystems. Denn es erhebt sich die Frage, ob der Mörder vor Gericht zurecht
bestraft wird, oder ob sein Fehlverhalten nicht eher als unglückliches
Schicksal
zu betrachten wäre. Was wären die (praktischen) Konsequenzen?
Schopenhauer gab das Beispiel eines Mannes, der abends in
der Gasse steht und zu sich selbst spricht:
"Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist
beendigt. Ich kann jetzt einen Spaziergang machen; oder ich kann in
den Klub gehen; ich kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne
untergehen zu sehen; ich kann auch ins Theater gehn; ich kann auch
diesen oder jenen Freund besuchen; ja, ich kann auch zum Thor
hinauslaufen, in die weite Welt, und nie wiederkommen. Das Alles
steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; thue
jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach
Hause, zu meiner Frau."
"Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: "Ich kann
hohe Wellen schlagen (ja! nämlich im Meer und Sturm), ich kann
reissend hinabeilen (ja! nämlich im Bette des Stroms), ich
kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen (ja!
nämlich im Wasserfall), ich kann frei als Strahl in die Luft
steigen (ja! nämlich im Springbrunnen), ich kann endlich gar
verkochen und verschwinden (ja! nämlich bei 80 Grad
Wärme); thue jedoch von dem Allen nichts, sondern bleibe
freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche:" Wie das Wasser
jenes Alles nur dann kann , wann die bestimmenden Ursachen zum
Einen oder zum Anderen eintreten; ebenso kann jener Mensch was er
zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben
Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich:
dann aber MUSS er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die
entsprechenden Umstände versetzt ist."
(Aus der "Preisschrift über die Freiheit des Willens",
1839)
M. S. Salomon, Können wir wollen, was wir wollen?
"Die Tatsache, dass die (post)moderne Gesellschaft uns
vielleicht in grösserem Masse erlaubt, zu tun,
was wir wollen (äussere Freiheit), rechtfertigt
nicht die These, wir könnten damit auch wollen,
was wir wollen (innere Freiheit)."
"http://www.coachingmoderationtraining.de/wille.htm" - toter link -
Freier Wille und Hirnforschung
(Wenn unser Hirn eine Entscheidung trifft, dann bemerkt
unser Bewusstsein das erst ein paar hundert Millisekunden später.
"Wir sind die letzten, die erfahren, was unser Gehirn vorhat...")
"Am 28. März 2004, kurz vor Mitternacht, konnte das Fernsehpublikum aus dem Munde
Gerhard ROTHs
(er hat eine Professur für Verhaltensphysiologe an der
Universität Bremen inne) vernehmen, dass all die Menschen, die da
glauben, sie seien – zumindest gelegentlich - frei darin, sich zu
entscheiden, dies, das oder jenes zu tun,
einer Illusion aufsitzen. Peter SLOTERDIJK (Philosoph und Moderator des "Philosophischen Quartetts") kommentierte diese Erkenntnis als
die vierte Kränkung, welche die empirische Wissenschaft der Menschheit zugefügt habe.
KOPERNIKUS riss sie aus der Mitte des Universums.
DARWIN machte sie zu einer Horde nackter Affen. Und
FREUD degradierte sie zu Marionetten unbewusster Kräfte. Und nun sind
die Neurobiologen
dran. Sie rauben den Menschen einen Leitstern ihres
Selbstverständnisses, die Willensfreiheit: "On this is founded ...
almost the whole conduct of life", meinte im Jahre 1739 der schottische
Philosoph David HUME (vgl. 1955, S.182). Dieses durch die
"Aufklärung" propagierte Selbstverständnis des Menschen,
welches aus ihm beispielsweise einen mündigen Bürger macht,
der für sein Tun und Lassen verantwortlich ist, wird nun von
manchen Neurobiologen als
fälschliche Selbsterhöhung
entlarvt. "Das neue Wissen über die neuronale Mechanik unseres
Denkorgans sollte den philosophischen Glauben an das selbstbestimmte
Individuum als Vorurteil entlarven", so heißt es in einem
resümierenden Bericht der Süddeutschen Zeitung (Nr. 113,
S.12) vom 17. Mai 2004 über ein Diskussions-Forum zum Thema "Wie
frei ist der Mensch?" – mit dabei: Gerhard ROTH."
Das ist zitiert aus
http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-05/05-1-8-d.htm
"If agents' actions are determined then decision is an illusion" (Garry Potter, 2002).
Kriminologie:
Der Kriminologe DANNER in "Warum es keinen freien Willen gibt" (1968)
1. Wollen ist auf einen subjektiv empfundenen ... Wert gerichtet
2. Was ein (subjektiver) Wert ist, bestimmen die Gefühle ..."
3. Also bestimmen die Gefühle das Wollen.
4. Die Gefühle sind unserer freien Bestimmbarkeit entzogen, sie 'entstehen autogen'.
5.
Da das Wollen von Gefühlen bestimmt wird und da die Gefühle
unserer freien Bestimmbarkeit entzogen sind, ist das Wollen
determiniert.
Ein determiniertes Wollen ist nicht frei.
Konsequente Folgerungen für die "Erziehung und Kriminalprophylaxe":
Kein Schuldvorwurf, nur Missbilligung, und keine vergeltende 'Strafe',
sondern nur erzieherische (= determinierende) Maßnahmen", die
auch in Strafen bestehen können.
"Einem Mörder individuelle Schuld zuzuschreiben, ist absurd." (Gerhard Roth im "Spiegel" 2/2003, S. 25)
"Straftaten sind aus neurobiologischer Sicht Naturkatastrophen und so sollte man auch mit ihnen umgehen." (P. Sloterdijk)
Gastbeitrag von Harry Krämer auf dittmar-online.net:
"Die Illusion der Willensfreiheit"
Der folgende kurze Prosatext ist unter anderem auch ein Beitrag
zum Thema "menschliche Freiheit":
Die Maschine
(von Thomas Bernhard)
Eine Maschine, die wie eine Guillotine ist, schneidet von einer
sich langsam fortbewegenden Gummimasse große Stücke ab und läßt
sie auf ein Fließband fallen, das sich einen Stock tiefer
fortbewegt und an welchem Hilfsarbeiterinnen sitzen, die die
abgeschnittenen Stücke zu kontrollieren und schließlich in große
Kartons zu verpacken haben. Die Maschine ist erst neun Wochen
in Betrieb, und den Tag, an welchem sie der Fabrikleitung
übergeben wurde, wird niemand, der bei dieser Feierlichkeit
anwesend war, vergessen. Sie war auf einem eigens für sie
konstruierten Eisenbahnwaggon in die Fabrik geschafft worden,
und die Festredner betonten, daß diese Maschine eine der größten
Errungenschaften der Technik darstelle. Sie wurde bei ihrem
Eintreffen in der Fabrik von einer Musikkapelle begrüßt, und die
Arbeiter und die Ingenieure empfingen sie mit abgenommenen Hüten.
Ihre Montage dauerte vierzehn Tage, und die Besitzer konnten
sich von ihrer Arbeitsleistung und Zuverlässigkeit überzeugen.
Sie muß nur regelmäßig, und zwar alle vierzehn Tage, mit
besonderen Ölen geschmiert werden. Zu diesem Zweck muß eine
Arbeiterin eine Stahlwendeltreppe erklettern und das Öl durch
ein Ventil langsam einfließen lassen. Der Arbeiterin wird alles
bis ins kleinste erklärt. Trotzdem rutscht das Mädchen so
unglücklich aus, daß es geköpft wird. Sein Kopf platzt wie die
Gummistücke hinunter. Die Arbeiterinnen, die am Fließband sitzen,
sind so entsetzt, daß keine von ihnen schreien kann. Sie
behandeln den Mädchenkopf gewohnheitsmäßig wie die Gummistücke.
Die letzte nimmt den Kopf und verpackt ihn in einen Karton.
Über Freiheit: versch. Ansätze zusammengefasst