"Worin aber begründet sich diese verheerende Wirkung der Religionen (incl. der politischen Religionen!), deren Blutspur sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht? Die Ursache liegt nicht bloß in den konkreten Eigenarten von Religion A, B oder C begründet. Die entscheidenden Probleme finden sich bereits auf weit abstrakterer Ebene, nämlich im religiösen Zugang zur Welt an sich. Evolutionäre Humanisten erkennen in dieser Zugangsweise drei fundamentale Gefahren:
Zweitens: Religiöses Denken kann durch seine jenseitige und nicht diesseitige Begründungsform jede rationale, menschliche Argumentation außer Kraft setzen und damit eine nicht mehr hinterfragbare Beliebigkeit der Argumentation nach sich ziehen. Mit dem Jenseits lässt sich bekanntlich jede beliebige „Lüge im Diesseits begründen“ (Nietzsche). Schärfer formuliert: Man kann das jenseitsorientierte, religiöse Denken als ein kognitives Virus betrachten, das darauf ausgerichtet ist, das nach dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit agierende, rational-logische Immunsystem der menschlichen Vernunft – zumindest partiell – lahm zu legen. Ist die Vernunft erst einmal mit dem religiösen Virus infiziert (die Infektion geschieht meist in der frühen Kindheit), so ist unter Umständen kein Mythos, keine Erzählung, kein Gedanke absurd genug, um nicht doch noch geglaubt, verbreitet und mit Waffengewalt verteidigt zu werden.
Drittens: Der religiöse Zugang zur Welt ist gekoppelt an eine zutiefst autoritäre Denkstruktur. Als „unbedingt wahr“ gilt, was Prophet A oder B gesagt hat oder was in dem „heiligen“ (deshalb nicht kritisierbaren) Text C steht. Schon zaghafter Widerspruch gilt als Häresie und ist im höchsten Maße angstbesetzt. Hier zeigt sich vielleicht am deutlichsten der Unterschied zum wissenschaftlichen Denken, das gerade darauf angelegt ist, über Kritik, d. h. über stete Versuche der Falsifikation (Widerlegung) bisheriger Überzeugungen vormalige Irrtümer zu überwinden. Während in der Wissenschaft (zumindest von ihrem eigenen Anspruch her!) das Primat des besseren Arguments gilt, gilt in der Religion das Primat der Macht, welche im Falle der theistischen Religionen angeblich vom mächtigsten aller Herrscher, von „Gott“, an seine irdischen „Stellvertreter“ verliehen wurde."
"Dass die großen Religionen – trotz der Offenlegung ihrer zahlreichen Irrtümer und ihrer verheerenden ethischen Konsequenzen – bis heute überleben konnten, ist nicht zuletzt auf Traditionsblindheit zurückzuführen. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Sturheit Menschen die Irrwege und Schwächen ihrer eigenen Denktradition verdrängen können. In Bezug auf die Religionen haben sich dabei zwei grundsätzliche, idealtypische Varianten von Traditionsblindheit herausgebildet:
In der aufklärerisch gezähmten Variante, gewissermaßen der „Light-Version“ des religiösen Glaubens, werden weltliche Argumente zwar weitgehend in das Denksystem integriert, allerdings wird der radikale Gegensatz zwischen weltlichem und religiösem Denken mittels intellektuell unredlicher Umdeutungen der traditionellen Glaubenssätze kaschiert. Echte Virtuosen der intellektuellen Unredlichkeit beherrschen dabei sogar das Kunststück, selbst das offensichtlich Inhumane derart zu umwolken, dass es in seiner eigentlichen, seiner menschenfresserischen Substanz kaum noch zu erkennen ist: Da wird aus Unsinn plötzlich Sinn, aus Leid plötzlich Freude, da verklärt sich das Verbrechen zur Heldentat und das Joch zum Siegessymbol.
In Deutschland herrscht seit Jahrzehnten, ausgelöst auch durch die katastrophalen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, in den beide Großkonfessionen „mit Gott und dem Führer“ zogen, jene aufklärerisch gezähmte Form der Traditionsblindheit („Religion light“) vor. Die meisten „Christen“ hierzulande haben auf vielen Gebieten den Erkenntnisfortschritten der letzten Jahrhunderte Tribut gezollt. Sie glauben nicht mehr an Adam und Eva, nicht mehr an Hölle und Teufel, nicht mehr an ein ewiges Flammenmeer, in dem die überwiegende Mehrheit der Menschen postmortal gebraten wird, nicht mehr an Dämonen, die Menschen befallen können, häufig sogar nicht mehr daran, dass eine historische Person Jesus von Nazareth existiert hat, geschweige denn: dass sie von den Toten auferstanden ist.
Seltsamerweise hält dieser reale „Unglaube“ viele
Menschen nicht davon ab, sich als „Christen“ zu bezeichnen. Den
meisten von ihnen scheint nicht einmal aufzufallen, dass die
„Erlösungstat“ des Messias ohne Voraussetzung von Hölle und Teufel in
etwa so sinnvoll ist wie ein Elfmeterschießen ohne gegnerische
Mannschaft. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Menschen in
religiösen Dingen jegliches Gefühl für intellektuelle Redlichkeit verloren
haben, da sie von einer „Theologie der Leerformeln“ geprägt wurden,
die sie darauf trainiert hat, sprachlich noch den Kontakt zu
einer Tradition aufrechtzuerhalten, deren Boden sie inhaltlich
längst schon verlassen haben. Das daraus resultierende
„Weichfilter-Christentum“ ist vor allem deshalb problematisch, weil es
den Blick dafür trübt, was Christentum (aber auch jede andere
institutionalisierte Offenbarungsreligion) über viele Jahrhunderte
bedeutet hat und was es auch heute noch in seinen reinen,
fundamentalistischen, aufklärerisch nicht gezähmten Varianten in
weiten Teilen der Welt bedeutet."
Ich habe bislang keine einsichtigen Argumente gehört, die das hier
Ausgesprochene widerlegen würden. Natürlich hätte man das Ganze
"netter", "unverbindlicher", d.h. unklarer (!!) formulieren können.
Aber das war nicht das Ziel, das ich mir gesetzt habe. Ich wollte
"Klartext" reden - auch wenn dies dem einen oder anderen
Weichfilter-Christen (der - ohen es eingestehen zu wollen - bloß ein
getarnter Humanist ist) nicht gefallen mag. Aber es wird sicherlich
Leute geben, die das von mir (und anderen) so ungefiltert Gesagte
soweit verwässern werden, dass es für größere Bevölkerungsgruppen
erträglich wird. Hierin sehe ich aber nicht meine genuine Aufgabe. Ich
versuche, radikal zu denken, d.h. an die Wurzeln vorzustoßen. Dass das
hierraus entstehende Gebräu so manchem allzu bitter schmeckt - damit
muss ich leben... Allerdings: "Christentumshass" sollte man mir nicht
unterstellen. Ich hasse das Christentum nicht, habe persönlich auch gar
keine üblen Erfahrungen mit ihm gemacht. Wahr aber ist: Ich halte das
Christentum (wie viele andere Ideologien auch) für ungeeignet,
vernünftige Maßstäbe zu liefern für unser Zusammenleben im 21.
Jahrhundert. Es ist (noch einmal: wie viele andere Ideologien auch!)
logisch und empirisch widerlegt. Wir sollten daher, so hoffe ich,
irgendwann einmal in der Lage sein, die Idee des Christentums sterben
zu lassen, bevor wieder (wie in der Vergangenheit) unzählige Menschen
für diese Idee sterben müssen.
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Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil., Dipl. Päd.
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